Literatur und Leibesübung

Literatur und Leibesübungen

SPORTSTORIES. Ein literarischer Zehnkampf. Herausgegeben von Uwe Wittstock

SPORTSTORIES. Ein literarischer Zehnkampf. Herausgegeben von Uwe Wittstock

TENNIS oder DIE ORDNUNG DES LEBENS. Geschichten von Spiel, Satz und Sieg. Herausgegeben von Uwe Wittstock

TENNIS oder DIE ORDNUNG DES LEBENS. Geschichten von Spiel, Satz und Sieg. Herausgegeben von Uwe Wittstock

 

HARTE BANDAGEN Eine Box-Anthologie in 12 Runden. Herausgegeben von Günter Berg und Uwe Wittstock

HARTE BANDAGEN Eine Box-Anthologie in 12 Runden. Herausgegeben von Günter Berg und Uwe Wittstock

Aus dem Nachwort des Bandes
Sportstories. Ein literarischer Zehnkampf

„Ich muß ja auch mal wieder lesen.“
Uwe Seeler, nach einer Knieverletzung

Hemingway war zweiundzwanzig Jahre alt, als er mit dem festen Vorsatz nach Paris reiste, in dieser Stadt zum Schriftsteller zu werden. Seine Jugend hatte er in Amerikas grünem Mittelwesten verbracht, in einem kleinen Ort südlich von Chicago, und sich neben dem Lesen vor allem mit Jagen und Fischen, Football und Boxen beschäftigt. So konnte an seiner körperlichen Fitneß kein Zweifel sein. Während der Überfahrt nach Europa trat er im Speisesaal des Dampfers zu einem Schaukampf gegen einen italo-amerikanischen Profiboxer aus Salt Lake City an und schlug ihn in nur drei Runden vernichtend.

Im Dezember 1921, wenige Tage vor Weihnachten, kam er in Paris an: Ein energiegeladener Hüne, voller Witz und Lebenshunger, mit dunklem Schnauzbart und ein paar Narben an den Beinen, die ihn an seinen Militärdienst während des Ersten Weltkriegs erinnerten. Er brachte wenig mehr mit als sein Talent, seine Frau, von deren Geld er lebte, und vier Empfehlungsschreiben seines literarischen Mentors Sherwood Anderson. Kaum angekommen, schickte er einen dieser Briefe an den amerikanischen Geschäftsmann und Mäzen Galantière. Nach dem ersten gemeinsamen Abendessen bot er ihm an, im Hotelzimmer ein paar Trainingsrunden zu boxen. Als der eingeschüchterte Galantière nach zwei Minuten aufgeben wollte und bereits seine Handschuhe aufknotete, zertrümmerte ihm Hemingway mit einer Graden die Brille.

Die übrigen Briefe Andersons verschafften Hemingway schnell Zugang zur englischsprachigen Boheme der Stadt. Er lernte Gertrude Stein kennen, John Dos Passos, Scott Fitzgerald und Sylvia Beachs legendäre Buchhandlung „Shakespeare and Co“, in der er James Joyce begegnete. Schon in den ersten Wochen traf er auch den psychisch labilen, aber literarisch äußerst präzisen Ezra Pound, der ihn bat, seine Gedichte und Kurzgeschichten lesen zu dürfen. Pound war von den Texten so beeindruckt, daß er sie sofort amerikanischen Zeitschriften zu Publikation empfahl. Natürlich schmeichelte dem jungen Hemingway die Anerkennung eines Dichters, der zu den bedeutendsten seiner Zeit zählte. Noch mehr aber verblüffte ihn Pound mit dem Wunsch, von ihm Boxen lernen zu wollen.

„Ich habe Pound Boxen beigebracht, ohne großen Erfolg“, berichtet er in einem Brief vom März 1922 an Sherwood Anderson. „Er greift gewöhnlich mit vorgeschobenem Kinn an und besitzt etwa die Grazie eines Panzerkrebses. Er ist willig, aber kurzatmig. Heute nachmittag gehe ich wieder rüber zum Training, aber es bringt nicht viel, weil ich zwischen den Runden noch schattenboxen muß, um überhaupt ins Schwitzen zu kommen. Pound schwitzt allerdings gut, muß ich zu seinen Gunsten sagen. Außerdem ist es recht sportlich von ihm, daß er seine Würde und seinen Ruf als Kritiker für etwas aufs Spiel setzt, von dem er nicht das geringste versteht.“

Doch Hemingways Training zeitigte Folgen. Sein vergleichsweise schmächtiger Schüler lernte rasch dazu und erwischte ihn mit ein paar harten Treffern, die ihm Respekt abnötigten. „Ich boxe regelmäßig mit Ezra Pound“, schrieb er wenig später, „und er hat einen ungeheuren Schlag entwickelt. Meistens haut er allerdings in meine Deckung, und wenn er zu grob wird, strecke ich ihn nieder. Er ist ein guter, mutiger Bursche und ist ein verteufelter Boxer geworden – und wenn ich eines Tages mal nicht aufpasse, wird er mir den Latz vollknallen.“

Zwischen den beiden so ungleichen Schriftstellern entwickelte sich eine enge Freundschaft, die auch noch hielt, als Pound ins italienische Rapallo übersiedelte. Regelmäßig schickte Hemingway seine Short-Stories an Pound, um dessen Ansichten über sie zu erfahren – und wenn sie sich trafen, in Paris oder in Italien, boxten sie wieder miteinander. Aber sie schonten sich weder in literarischer noch in sportlicher Hinsicht; offenbar war ihnen zu wichtig, was in beiden Bereichen auf dem Spiel stand. Schreiben und Boxen rückte für sie nah genug aneinander, daß sich die Grenze dazwischen verwischte.

Als Pound wieder einmal neue Texte Hemingways gelesen hatte, ließ er ihn ungeduldig wissen: „Ich glaube, Du bist intelligenter als diese Manuskripte. Zum TEUFEL, ich will Zeug, das jede Diskussion BEENDET. Ich möchte sagen können: Freund Hem haut dich über die Seile; und dann will ich den Schlag sehen. Zärtliche Umarmungen im Ring interessieren mich nicht.“ Zwei Jahre nach diesem Brief stellte Hemingway seine literarische Schlagkraft endgültig unter Beweis. Der Roman In einem anderen Land schlug die amerikanischen und europäischen Kritiker über die Seile und beendete jede Diskussion über seine schriftstellerischen Fähigkeiten. Gerade dreißigjährig erreichte er Weltruhm.

Die Biographen erklären Hemingways lebenslange Begeisterung für das Boxen gern als Ausdruck seines demonstrativen Machismo: Da ihn seine Mutter als Kind lange wie ein Mädchen kleidete und verzärtelte, habe er als junger Mann keine Gelegenheit auslassen können, seine Männlichkeit handfest unter Beweis zu stellen. Ängstlich darauf bedacht, nur ja niemand auf die Idee kommen zu lassen, auch er habe schwache Stellen, sei er bei jeder Begegnung mit anderen Männern, insbesondere mit anderen Autoren, sofort auf Konkurrenz, Kampf und Kräftemessen aus gewesen.

Der englische Schriftsteller Anthony Burgess dagegen deutet Hemingways Box-Besessenheit anders, mit viel Gefühl für die Gesetze des Schreibens – und die des Sports. Auch für ihn verwischt sich die Trennungslinie zwischen Literatur und Boxen. „Jeder in Paris scheint früher oder später von Hemingway zu einer Runde mit den Handschuhen eingeladen worden zu sein – ausgenommen die beinahe Blinden wie James Joyce, oder die dem falschen Geschlecht Angehörenden wie Gertrude Stein. Er boxte, solange er sich in Paris aufhielt. Das Boxen war der äußere Ausdruck des heftigen inneren Kampfes, der in ihm vorging. Es war ein Kampf darum, einen ‚wahren, einfachen Aussagesatz’ zu schreiben. Hemingways künstlerisches Ziel war ebenso original wie das irgendeines anderen Avantgarde-Literaten, die in den Boulevard-Cafes endlos diskutierten. Er wollte schreiben ohne Rüschen und Schnörkel, ohne eine Pose einzunehmen, durch Worte und Satzbau Gedanken und Empfindungen ebenso mitteilen wie Körperlichkeit. Das klingt heute leicht, vor allem, weil Hemingway uns gezeigt hat, wie man es macht, aber es war nicht leicht zu einer Zeit, in der Literatur noch ‚schöne Literatur’ im viktorianischen Sinne zu sein hatte – mit neugotischer Dekoration, literarischen Anspielungen und kunstvoll ineinandergeschachtelten Nebensätzen.“

Wer Hemingways Bücher kennt, weiß, daß es darin Sätze gibt, die einen treffen wie ein Schlag. Sie sind kurz, hart und schmerzhaft. Sie beschreiben nicht einfach Ereignisse, sie machen auch die Gewalt spürbar, mit der Ereignisse in unser Leben einbrechen können. Die Geschichten Hemingways lassen nicht mit sich handeln, sind schwer zu besänftigen, sie gehen auf den Leser los wie ein Boxer auf seinen Gegner. Vielleicht begriff Ezra Pound früher als andere, in welcher Richtung Hemingway zu seinem unverwechselbaren Stil finden würde. Vielleicht erklärte er sich bereit, als Sparring-Partner gegen diesen haarsträubend überlegenen Nachwuchsautor anzutreten, weil er ahnte, daß Hemingway boxend schreiben lernte, um dann schreibend zu boxen.

Der Sport wird oft geistlos genannt und die Dichtung körperlos. Diese Klischees erklären Sportler und Schriftsteller zu Antipoden, zu geradezu naturgewollten Gegenspielern, auch wenn auf der Hand liegt, wie hilfreich Intelligenz für einen Athleten sein kann und wie nützlich Fitneß für einen Autor. Aber Vorurteile lassen sich selbst durch Evidenz oder offensichtlicher Logik nur selten aus der Welt schaffen. Mindestens ebenso unsinnig ist es natürlich, von einem gesunden Kärper auf ungetrübte geistige Schaffenskraft schließen zu wollen. Ein Aberglaube, der ziemlich weit verbreitet ist, obwohl es doch zahlreiche Spitzensportler gibt, von denen man besser keine gedanklichen Spitzenleistungen erwarten sollte. Dagegen läßt sich leicht ein ganzer Haufen wunderbarer Bücher und Kunstwerke aufzählen, die von hinfälligen oder ihre Gesundheit ruinierenden Leuten stammen, von ausgezehrten, sich zu Grunde richtenden menschlichen Wracks, die ihren vernachlässigten Körpern intellektuelle Produkte von überwältigender Schönheit und robuster ästhetischer Konstitution abgewannen. Trotzdem hat der Irrtum, es bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, schon etliche Jahrhunderte überlebt und wird fraglos noch weitere überleben.

Nein, Sport und Literatur sind weder Gegensätze noch ein festes Gespann. Wohl aber existieren zwischen Autor und Athlet, auch wenn man das nur selten wahrnimmt, bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. Sie sind sich ähnlicher, als man auf den ersten Blick wahrnimmt. Wie der Schriftsteller verschreibt sich der Sportler mit seiner ganzen Person einer Tätigkeit, die keinen Zweck hat, keinen unmittelbaren Nutzen kennt und trotzdem strengen Regeln folgt. Wie der Schriftsteller widmet der Sportler sein Leben dem Spiel und nicht dem faden Ernst der Wirklichkeit, wie der Schriftsteller ersetzt er die von der Arbeit beherrschte Realität durch eine lustvollere Simulation. Kurz: wie dem Schriftsteller so geht es auch dem Sportler darum, die oft unerträglichen Konflikte des Daseins in eine ritualisierte und also erträglichere Form zu überführen.   (…)

 

HARTE BANDAGEN Eine Box-Anthologie in 12 Runden. Herausgegeben von Günter Berg und Uwe Wittstock

Harte Bandagen. Eine literarische Anthologie in 12 Runden nebst 11 Ringpausen und einer Siegerehrung. Herausgegeben von Günter Berg und Uwe Wittstock, C.H.Beck Verlag, München 1997, 205 Seiten

Der Sammelband Harte Bandagen ist frischer, variabler als so mancher Boxkampf. Empfohlen für viele Anthologie-Ring-Ecken!
Fachdienst Germanistik

 

SPORTSTORIES. Ein literarischer Zehnkampf. Herausgegeben von Uwe Wittstock

Sport-Stories. Ein literarischer Zehnkampf samt Training, Halbzeitpause, Verlängerung, einem Bericht aus der Fan-Kurve und einem ruhigen Heimweg. Herausgegeben von Uwe Wittstock. Fischer-Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1993, 286 Seiten.

 

TENNIS oder DIE ORDNUNG DES LEBENS. Geschichten von Spiel, Satz und Sieg. Herausgegeben von Uwe Wittstock

Tennis oder Die Ordnung des Lebens. Geschichten von Spiel Satz und Sieg. Herausgegeben von Uwe Wittstock. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1998, 189 Seiten

 

Die Bände Sportstories und Harte Bandagen und Tennis oder Die Ordnung des Lebens sind zur Zeit leider nicht über den Buchhandel lieferbar. Exemplare können allerdings beim Herausgeber unter der E-Mail-Adresse (siehe Impressum)  zum Preis von 5,00 Euro (inkl. Porto) bestellt werden oder sind über im Modernen Antiquaritat (ZVAB) erhältlich.

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