WEGE ZUM RUHM

Handwerklich-technisch gesehen bin ich für meine Familie natürlich eine glatte Enttäuschung. Nehmen wir mal unseren Video-Recorder. Es soll Menschen geben, die in der Lage sind, ein solches Gerät mittels Kabel sinnreich an einen Fernseher anzuschließen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich bin Literaturkritiker. Ich las die Bedienungsanleitung, war über Stil, Handlung und Hauptfiguren entsetzt und ließ einen Elektrotechniker kommen.
„Null Problemo“, meinte der, „das Kabel hier rein und hier. Dann die eine Fernbedienung hier, hier und hier drücken und dann die andere hier und hier drücken. Kinderspiel.“
„Klar“, sagte ich, „hier und hier. Kinderspiel.“
Am Abend versammelte ich meine Familie um mich, um sie an meinem ersten selbstaufgezeichneten Videofilm teilhaben zu lassen. „Ist ganz leicht“, demonstrierte ich meine neue technologische Kompetenz: „Hier und hier drücken, und hier und hier, äh, und hier natürlich. Alles klar?“
Auf der Mattscheibe tiefes, abgründiges Dunkel.
„Oder war das jetzt hier und hier?“
Die Mattscheibe blieb bleiern schwarz.
„Also, im Prinzip ein Kinderspiel, die Fernbedienung steuert den Recorder, man drückt Knöpfe und die Sache läuft. Annette, kannst Du das mal machen?“
Annettes Gesicht zeigte einen zarten Anflug hektischer Röte. Sie warf sich ihre Jacke über: „Kurz nach Zehn kommt der Film mit George Clooney und ich muss jetzt weg. Ich bin mir sicher“, sagte Annette, „ganz sicher“, sagte sie und schaute mir dazu mit leicht vorgeschobener Stirn präzise in die Augen, „es gelingt Dir, ihn aufzunehmen. Ich sehe alle Filme mit George.“ Danach schloss sie ohrenbetäubend leise die Haustür.
„Papa“, jammerte Lennart, „ist er jetzt für immer kaputt?“ und streichelte den leblosen Bildschirm.
„Wir können ihn ja im Garten begraben“, überlegte Marten.
„Wenn das Teil hin ist“, knurrte Nicolas, „zieh ich aus.“
In lieblich perlenden Satzperioden unterbreitete ich den Kindern meine Ansichten zu ihrem Medienkonsum und bot ihnen an, für sie einen Vortrag über die verwahrloste Kultur der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung George Clooneys zu extemporieren. Sie zogen es vor, ohne Abendbrot ins Bett zu gehen.
Wäre doch gelacht, dachte ich, und schnappte mir noch einmal die Bedienungsanleitung. Eine Stunde und zwei Glas Wein später zeigte der Bildschirm unversehens Leben. Er wechselte von schwarz auf verschneit. Eine weitere Stunde und ein weiteres Glas später gab es wieder bemerkenswerte Reaktionen: Der Schnee wurde allmählich heller, dann wieder dunkler. Schließlich wirkte er wie grauer Gries und gelegentlich verdickte sich der Gries an einigen Stellen der Mattscheibe, fast so, als wollten sich gleich, im nächsten Moment, erste schemenhafte Figuren aus dem Nebel schälen. Dann aber schälten sie sich doch nicht.
Als ich kurz vor Mitternacht endgültig alles ausschaltete, legte sich Stille über das Haus. Ich starrte den renitenten Recorder an, bis sich das schwarze Gehäuse um den Kassetten-Schacht zu bewegen schien wie ein Paar schwarze, wulstige Lippen.
„Sie sieht alle Filme mit George“, schnarrte der Recorder.
„Na und?“ gab ich patzig zurück.
Er lächelte hämisch: „Clooney sieht blendend aus, ist Schauspieler und weltberühmt.“
„Na und?“ meinte ich, „ich sehe auch blendend aus, bin Kritiker und wäre mindestens so weltberühmt, wenn ich mehr Zeit zum Schreiben hätte und nicht immer Rekorder programmieren müsste.“
„Wollen mal hoffen“, meinte er und sein Grinsen wurde immer gemeiner, „dass sie das genauso sieht, wenn ich ihr morgen die Kassette vor die Füße spucke, und es ist kein einziges Bild drauf vom schönen George.“
Wir schwiegen und starrten. Dann hörte ich Annettes Schlüssel in der Haustür. Als sie mich vor dem Recorder sitzen sah, legte sie mir ihre kühle Hand auf die Schulter: „Okay, okay“, seufzte sie, „aber ich finde es gut, dass Du es wenigstens versucht hast. Schau ich mir den Film halt bei einer Freundin an, die zeichnen den eh alle auf.“
Ich schaute hoch zu ihr: „Aber, wenn wir den Recorder also gar nicht mehr brauchen, meinst Du, ich könnte ihn im Garten vergraben, da drüben bei den Tulpen?“
„Prima Idee“, sagte Annette sanft, „das machen wir. Gleich morgen.“
Und als wir zusammen die Treppe nach oben gingen, sagte ich noch: „Überhaupt schauen die Kinder viel zu viel Fernsehen, finde ich. Wir sollten ihnen das verbieten. Ich könnte ihnen stattdessen abends ein paar von meinen Kritiken vorlesen.“
„Prima Idee“, sagte Annette sanft, „das machen wir. Gleich morgen.“

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