Unaufgeräumter Versuch über die Pubertät

Unaufgeräumter Versuch über die Pubertät

„Willst du nicht mal Dein Zimmer aufräumen?“
„Öö, issoch.“
Öö heißt so viel wie: Nö. Issoch so viel wie: Ist doch. Die Tonlage der Antwort lässt zartes Genervtsein anklingen. Nicolas steht bis zu den Knöcheln in einer bedrohlich wirkenden, amorphen Masse, die vor allem aus alten Socken, Schulbüchern, von der Wand gesunkenen Postern, Comic-Heften und bizarren Lego-Landschaften besteht. Neuerdings wippt Nicolas ein wenig in den Knien, wenn er vor mir steht, und schiebt das Becken vor. Dazu schwingt er leicht die Schultern wie ein Boxer, der Streit sucht.

„Ich will, dass Du jetzt aufräumst“, sage ich. Fachleute in Erziehungsfragen raten, Kindern klare Anweisungen zu geben und den Anweisungssatz immer mit ‚ich’ zu beginnen. Ich-Botschaften, meinen sie, kommen bei Kindern besser an.
„Ich kann nich, Alta“, ächzt Nicolas, lässt sich rücklings aufs Bett kippen und fischt ein Manga-Heft aus der trüben Flut, die gegen die Matratze brandet, „ich muss grad lesen.“
Klar, Pubertät. Eltern wissen von Anfang an, dass diese Zeit der Prüfung auf sie zukommt. Sie dürfen sich also nicht beschweren. Schon gar nicht wegen eines solchen Erziehungsproblem-Klassikers wie dem unaufgeräumten Zimmer. In der Pubertät, dachte ich früher immer, da hat Nicolas Ärger wegen Mädchen, Pickeln, Zahnspangen und lauter Musik. Im Moment sieht es aber eher so aus, als wäre ich derjenige, der Ärger hat. Vor gerade mal zwölf Jahren lag Nicolas auf meinem Arm und quietschte vor Vergnügen, wenn ich mit den Fingern auf seinen Bauch trommelte. Noch im Sommer, bevor er zum Knie-Wipper und Schultern-Schwinger mutierte, quietschte er vor Vergnügen, wenn wir Fußball spielten und ich ihn ausnahmsweise mal ein Tor schließen ließ. Aber jetzt:
„Papa“, brummt er, „kannst Du mal rausgehen. Ich brauch Ruhe“, und dreht den CD-Player lauter.
Fachleute in Erziehungsfragen warnen davor, Kinder, die nicht tun, was sie tun sollen, durch kleine Prämien zu überreden. Bestechung sei das, sagen sie. Kinder müssten lernen, Pflichten ohne Gegenleistung zu erfüllen. Besonders in der Pubertät. Goldene Worte.
„Sobald Du aufgeräumt hast, könnten wir draußen ein bisschen Fußball spielen“, sage ich. „Hast Du Lust?“ Silbrige Sätze.
„Echt?“ Nicolas sitzt aufrecht im Bett. Als ich nicke, springt er raus und schiebt mit ausgebreiteten Armen den Bodensatz seines Zimmers in der Ecke hinterm Schreibtisch zu einer entzückenden Abraumhalde zusammen. Ein paar liegen gebliebene Teile kickt er hinterher, um sich schon mal warm zu schießen. Bleibt man an der Tür stehen, sieht es tatsächlich so aus, als hätte er aufgeräumt. Picobello. Ich entscheide mich, an der Tür stehen zu bleiben.
Sekunden später hat Nicolas Turnschuhe an und steht vor mir. Ohne in den Knien zu wippen und mit den Schultern zu schwingen. „Krass“, sagt er, „heute lass ich Dich auch mal ein Tor schießen“. Dazu trommelt er sich mit den Fingern auf den Bauch und quietscht vor Vergnügen.

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